Presseartikel

DIE ZEIT 9/2006 vom 23. Februar 2006

Die Bahn soll weg
In Nordrhein-Westfalen kämpfen mehrere Städte gegen eine wiederbelebte Eisenbahnstrecke. Die Gründe sind kaum zu verstehen.
Von Eva-Maria Thoms.

Wiehl. Man muss das Bergische Land nicht verstehen, stellt der Büttenredner Ferdi Huick alias der Bergische Landbote dieses Jahr im Kölner Karneval fest. Er mag dabei an das Wiehltal gedacht haben. Dort, im Oberbergischen Kreis, an der Grenze zum Sauerland, streitet man seit Monaten über eine alte Eisenbahnstrecke. Ein Verein engagierter Bürger hat einen stillgelegten Gleisabschnitt von immerhin zehn Kilometer Länge wieder instand gesetzt, ohne öffentliche Zuschüsse und mit eigener Hände Arbeit. 275 Zugfahrten hat der Vorsitzende des Förderkreises zur Rettung der Wiehltalbahn, Gerhard Mansel, im vergangenen Jahr gezählt. Sogar aus der Schweiz und aus Dänemark kommen Eisenbahnfans, um im Wiehltal ihren Dampflok-Führerschein zu machen. Alle sind begeistert – nur die örtliche Politik bekämpft die neue Attraktion. Von Engelskirchen über Morsbach bis Waldbröl wollen die Bürgermeister der Region ihre Eisenbahn so schnell wie möglich loswerden.
Die Probleme begannen, als die Bahn AG im vergangenen Jahr den Pachtvertrag für die Wiehltalbahn nicht mehr verlängerte. Die Hobbyeisenbahner nahmen die Herausforderung an und entschlossen sich zum Kauf der Strecke. Dass ihre Gleise wirtschaftliches Potenzial haben, bestätigen Fachleute. Der professionelle Partner der Eisenbahnfreunde, die Rhein-Sieg-Eisenbahn GmbH, möchte hier gern wieder Güterverkehr auf die Schiene bringen. Seit dem Herbst ist eine Aktiengesellschaft in Gründung. Private Investoren werden gesucht, und im November waren die Kaufverträge mit der Bahn AG unterschriftsreif. Da erhob die Stadt Waldbröl Einspruch.
Die Stadt will nun ihrerseits ein paar hundert Meter der Gleisstrecke kaufen – um sie zuzuschütten. Bei Waldbröl verläuft die Wiehltalbahn nämlich unter der Bundesstraße 256 hindurch. Und dort möchte die Stadt seit langem einen Verkehrskreisel anlegen, den der Bund zu bezahlen hätte. »Wenn wir die Gleise zuschütten, wird der Kreisverkehr deutlich billiger«, kalkuliert Waldbröls Bürgermeister Christoph Waffenschmidt, CDU, »vielleicht kommt er dann früher.« Die Stadt, die sich wegen ihres chronischen Defizits ihren Haushalt vom Regierungspräsidenten genehmigen lassen muss, will also dem Bund beim Sparen helfen – mit einer Investition von 500 000 Euro. Muss man das verstehen?

Angeblich wird ein Unternehmen behindert. Stimmt nicht, sagt dieses

Doch der Bürgermeister hat noch weitere Argumente gegen die Wiehltalbahn. Sie behindere die Entwicklung des Gewerbes, behauptet er und nennt als Beispiel den Holzpalettenhersteller Caspari. Doch eine Nachfrage zeigt: Da muss der Bürgermeister etwas falsch verstanden haben. »Die Stecke stört uns nicht«, sagt Geschäftsführer Arnd Caspari. Eher im Gegenteil. Wenn der Straßentransport sich weiterhin verteuere, könne die Bahn zu einer attraktiven Alternative werden.
Obwohl die Argumente gegen die Bahnlinie also nicht restlos überzeugen, waren die Wiehltaler Lokalpolitiker zwischenzeitlich entschlossen, engagierten Bürgern, die seit sieben Jahren Geld und Zeit in eine Touristenattraktion investieren, die Schienen unter den Loks abzubauen. Die Städte wollen die Strecke nun selbst kaufen; nur wenige Wochen brauchten sie, um die benötigten Mittel in ihre Haushaltsentwürfe einzustellen. Und im Schienenbedarfsplan der neuen Landesregierung ist die Wiehltalstrecke bereits gestrichen: Kein Verkehrsbedarf, hat man im Ministerium festgestellt.
Vielleicht hätten die Bürgermeister und der Minister sich vor ihren Beschlüssen mit dem Eisenbahnrecht beschäftigen sollen. Denn Gleise stehen als öffentliche Infrastruktur unter besonderem Rechtsschutz. »Die Kommunen können die Strecke kaufen«, sagt der Eisenbahnrechts-Professor Hans-Jürgen Kühlwetter, »aber sie dürfen die Gleise nicht abbauen.« Als ehemaliger Leiter des Rechtsreferats im Eisenbahn-Bundesamt weiß er, wovon er spricht. Die Städte, sagt Kühlwetter, müssten nachweisen, dass die Gleise nicht mehr gebraucht würden. Und das dürfte ihnen schwer fallen, solange im Wiehltal noch Züge rollen.
Sollte man sich eigentlich darüber wundern, dass der Kampf eines Provinzbürgermeisters das Verkehrsministerium im fernen Düsseldorf zu einer eiligen Änderung seines Schienenbedarfsplans motivierte? Könnte sich womöglich noch jemand durch die Bahnlinie im Wiehltal gestört fühlen?
Das erfolgreichste Unternehmen der Region ist die Bergische Achsenfabrik in Wiehl, Unternehmensmotto »Alles läuft gut«, Umsatz im vergangenen Jahr: rund 500 Millionen Euro. Die Achsenfabrik hat jenseits der alten Gleise ein modernes Logistikzentrum errichtet. Der Wochenendverkehr der Hobbyeisenbahner dürfte dort kaum gestört haben. Ein Ausbau des werktäglichen Güterverkehrs wäre wohl schwerer zu verkraften.
Firmenchef Christian Peter Kotz sitzt seit drei Jahrzehnten für die CDU im Wiehler Stadtrat. Außerdem ist er Vizepräsident gleich zweier Industrie- und Handelskammern und hat in dieser Eigenschaft gerade das Ende der rot-grünen Schienenvorrangpolitik begrüßt und Landesverkehrsminister Oliver Wittke zu einer Konferenz über den Abbau ungenutzter Gleise eingeladen. Strecken wie die Wiehltalbahn sind nach Meinung der IHK Gummersbach »überflüssig und behindern private und öffentliche Investitionen«.

Der Bürgermeister hat jetzt Zeit, lässt der Firmenchef ausrichten

Wird die Bergische Achsenfabrik durch die Wiehltalbahn behindert? Achsenfabrik-Chef und Ratsherr Kotz möchte diese Frage nicht beantworten. Aber, so lässt er ausrichten, der Wiehler Bürgermeister Werner Becker-Blonigen stehe gern für ein Gespräch zur Verfügung.
Und siehe da, tatsächlich hat der Bürgermeister, der zuvor über eine Woche lang sehr schwer erreichbar war, nun plötzlich Zeit für die Presse. Becker-Blonigen hat mittlerweile eingesehen, dass »sich der Bahnbetrieb nicht so einfach stoppen lässt wie erhofft«. Nun möchte er die Strecke kaufen und sie an die Eisenbahnfreunde verpachten.
Nicht jedem mag einleuchten, dass die Städte nun in eine Bahnstrecke investieren, die sie eigentlich weghaben wollen. Aber man muss das Bergische Land nicht verstehen, tröstet der Karnevalist Ferdi Huick, »man muss es aushalten«.