Presseartikel

Oberbergische Volkszeitung, 15. Februar 2006

Stadt will Herr des Verfahrens werden
Wiehltalbahn: Gutachter hält Stilllegung auch gegen den Willen der Betreiber für möglich

von REINER THIES

WIEHL. In Wiehl hat sich der Stadtrat gestern Abend erwartungsgemäß mit großer Mehrheit für den Kauf der Trasse ausgesprochen. Nun müssen noch die anderen Anrainerkommunen mitziehen (siehe Kasten). Denn die DB-Immobiliengesellschaft will die Wiehltalbahnstrecke nur komplett abgeben. Die Entwidmung der Strecke kommt in Wiehl erst auf die Tagesordnung, wenn der Bahnförderkreis nicht mehr als Betreiber zur Verfügung steht. Gegenstimmen kamen von den drei Grünen-Ratsdamen, die den Kauf von vornherein ablehnten, und von UWG-Mitglied Hans-Peter Stinner.

Zuvor hatte sich Beigeordneter Thomas Gaisbauer bemüht, alle Vorbehalte zu zerstreuen, die noch im Hauptausschuss geäußert worden waren. Seine wichtigste Trumpfkarte war ein Gegengutachten zur Expertise des Bahnförderkreises. Dessen Gutachter vertritt die Auffassung, dass der Eigentümer verpflichtet ist, einen Eisenbahnbetrieb zu dulden, solange sich ein Betreiber findet. Der Rechtsberater der Stadt ist dagegen sicher, dass sich die Paragrafen des Eisenbahngesetzes anders auslegen lassen. Gaisbauer sieht "gute Chancen, dass wir als Eigentümer selbst entscheiden können, was mit der Strecke passiert".

Ohnehin muss die Stadt nicht fürchten, dass mit dem Erwerb der Strecke große Folgekosten verbunden wären. Bereits der laufende Pachtvertrag sieht vor, dass Förderkreis und Rhein-Sieg-Eisenbahn als Betreiber für den Unterhalt der Strecke gerade stehen.

Die Abstimmung im Wiehler Stadtrat wurde gestern in nicht-öffentlicher Sitzung vollzogen. Auf Antrag von Grünen-Fraktionssprecherin Roswitha Köhlert hatten aber alle Fraktionen zu Beginn der Sitzung Gelegenheit zu einem Statement. CDU-Fraktionsvorsitzender Gerhard Altz sprach sich erneut für eine Stilllegung aus. Die Bahnstrecke beeinträchtige die Standortsicherung der Firma Kind & Co und die Anbindung des Dornseifer-Markts in Bielstein. Mit dem Kauf werde die Stadt "Herr des Verfahrens".

Mit exakt derselben Formulierung begründete auch SPD-Fraktionschef Wilfried Bast seine Zustimmung. Nur geht es den Sozialdemokraten nicht um die schnelle Stilllegung, sondern um einen touristischen Bahnverkehr. Der Beschlussentwurf war auf Antrag der SPD im Hauptausschuss noch dahingehend geändert worden, dass dem Förderkreis der Betrieb ausdrücklich gestattet wird. "Wir haben unsere Meinung nicht geändert: Bahnbetrieb und Stadtentwicklung müssen nebeneinander möglich sein", betont Bast. Vor der Sitzung hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende den Antrag der CDU, der die ganze Diskussion Mitte Dezember in Gang brachte, als "Schnellschuss" kritisiert. Darin war bereits von einem Radweg auf der Strecke die Rede und dass der Kauf von den 500 000 Euro finanziert werden kann, die die Stadt durch den Verzicht auf eine Schrankenanlage einspart. Das ist nun nicht mehr absehbar.

Rolf Gurbat (FDP) fürchtet, dass die Kosten einer Altlastensanierung an der Stadt hängen bleiben, stimmte mit seiner Fraktion aber zu. Hans-Peter Stinner (UWG) hält die finanziellen Risiken des Kaufs für nicht absehbar. Roswitha Köhlert (Grüne) bekam Sonderapplaus von den Bahnfreunden auf den Zuschauerstühlen für ihre Meinung: "Es ist überheblich, wenn über die Zukunft der Strecke jetzt für alle Zeit entschieden wird."

DIE ANDEREN

Was meinen die vier anderen Anliegerkommunen zum Kauf der Strecke? In Engelskirchen will die Verwaltung die eingeplanten 22 000 Euro wieder aus dem Haushaltsentwurf herausnehmen: Großprojekte wie der Schulneubau lassen der Gemeinde keinen Spielraum für die Bahnstrecke. Kämmerer Stefan Meisenberg hätte aber nichts dagegen, wenn die Wiehler das Engelskirchener Bahnstück kaufen. Im Reichshof wird noch über den Preis verhandelt. Zur Refinanzierung würde dort der Weiterverkauf des Teilstücks auf dem Gelände der Firma BPW in Brüchermühle beitragen. Bürgermeister Gregor Rolland: "Wenn die anderen kaufen wollen, können wir uns nicht entziehen." Auch Raimund Reuber, Bürgermeister in Morsbach, würde seinem Rat die Übernahme empfehlen - wenn die Bahn noch Geld darauflegt: "Wir sind mit fünf Viadukten und einem Tunnel gestraft. Wenn wir den Sanierungsaufwand tragen sollen, muss es eine Abstandszahlung geben." Waldbröl braucht die 142 000 Quadratmeter Bahngelände dringend, um den Kreisel am Boxberg bauen zu können. Geld hat die Stadt für den Kauf nicht, aber die Flächen für den Kreisverkehr würde der Landesbetrieb Straßen bezahlen. (tie)

Kommentar aus der Oberbergischen Volkszeitung vom 16. Februar 2006